2
Sep
2005

Sylvian In The Sticks

non17lp

Schallplattenkäufer waren jahrelang arme Menschen. Überall warf man die Hartplastikscheiben aus den Läden, sämtliche Labels setzten auf den ach so praktischen Silberling und hörten auf, ihre Künstler im plötzlich nostalgisch gewordenen schwarz anzubieten.

Selbst Produktionen, die eindeutig und nur für die Tanzflächen der Welt auserkoren waren, wurden dem Publikum in Form von albernen CD Singles präsentiert. Die ließen sich aber so rein gar nicht mit den 1210ern spielen, mit denen es sich als DJ so hervorragend mixen ließ - und mit CD Spielern (oder Playern, wie sie dann auch ganz schnell genannt wurden) konnte man außer abspielen genau gar nix machen.

Und so kam es, dass das Vinyl dann doch nicht ausstarb, weil man in einem kleinen gallischen Club am Rande des digitalen Reiches einfach nicht aufhörte, Schallplatten zu verwenden. Heute gibt es super tolle DJ-CD-Player, die den DJ in die Lage versetzen, CDs wie Schallplatten einzusetzen, inklusive Scratchfunktion am schallplattengroßen Gummirad auf dem Deckel der digitalen Discokiste.

Trotzdem hören die Discjockeys nicht auf, Platten zu verwenden, egal, wie schwer und unhandlich sie sind. Längst sind Generationen von DJs an den Plattentellern, die nach der Geburt der CD auf die Welt gekommen sind - und trotzdem wird Vinyl gespielt. Selbst bei WOM, wo man einst die letzten Schallplattenecken in tragischen Ramschverkäufen auflöste, hat man chice neue Vinylabteilungen geschaffen. Nicht nur für die Tanzwaren - fast alles wird wieder im Schallplattenformat auf den Markt geworfen.

Manches auch, und da geht nicht nur das Herz des Nostalgikers auf, ausschließlich auf Schallplatte. Das bezieht sich auch nicht nur auf das Futter für die Clubs - denn eins ist sicher: Burnt Friedman & Jaki Liebezeit haben mit ihrer Mini-LP "Out In The Sticks" alles außer Dancefloors im Visier gehabt.

Friedman, der auf dem Nonplace Label viel verfrickelte Elektronik veröffentlicht, mit den Nu Dub Players zwei Alben voller Ohrenschmeichler produzierte, mit Atom Heart auf Ninja Tune als Flanger irrwitzige Produktionen irgendwo zwischen Jazz, Elektronik und Experiment veröffentlicht, hat schon vor vier Jahren ein Album mit Jaki Liebezeit aufgenommen. "Secret Rhythms" hieß die LP, die nicht nur wegen des Wiederauftauchens des Ex-Can-Schlagzeugers Liebezeit Beachtung fand, sondern auch weil sie richtig schön war, auf eine Art, die schwer zu erklären ist, und eigentlich auch erst in ihrer Fortsetzung, nämlich der neuen EP, besser nachzuvollziehen ist.

Friedman und Liebezeit spielen schon seit Jahren mit sogenannten zyklischen Rhythmen herum. Man möge mir verzeihen, dass ich das als musiktheoretisch wenig bewanderter Mensch nur recht stümperhaft erklären kann - Liebezeit spielt Rhythmen, die zwar in ihrer prinzipiellen Grundstruktur nicht von den gewohnten Mustern abweichen, aber in ihrem Aufbau nicht den einzelnen Takt betonen, sondern das Ganze, sozusagen den rhythmischen Fluss. Das schafft er zum einen durch ein ungeheuer gefühlvolles, rundes Spiel, zum anderen variiert und verschachtelt er die Rhythmen genau bis zu dem Punkt, an dem man aufhört, auf einzelne Beats zu achten und nur noch die Bewegung wahrnimmt. Wie wenn wir auf das Meer schauen und nicht die Wellen sehen, sondern die Bewegeung, den Gesamtrhythmus, die Weite und die Natur.

Und so strahlen die Stücke trotz ihrer Komplexität ein Ruhe und Erhabenheit aus, die schwer in Worte zu fassen ist, man lauscht und staunt, versucht immer mal wieder die rhythmische Struktur zu erfassen, um sich im nächsten Moment schon wieder von ihr weitertragen zu lassen. Und als wäre es nicht genug der Schönheit, da legen Friedman und Liebezeit noch einen drauf und laden David Sylvian ein, um "The Librarian" zu singen. Wer Herrn Sylvian kennt, weiß um die Intensität seiner Stimme. Und trotzdem wirkt sie auf diesem Stück, als wäre sie für diese Musik geschaffen worden, oder zumindest als hätte sie schon immer dazu gehört. Eine unglaubliche Wärme strahlt sie aus, sicher auch kräftig unterstützt durch die exquisite Produktionsarbeit von Friedman und Liebezeit.

Seit Wochen lege ich dieses Stück nun schon jeden Freitag in meiner Lieblingsbar auf, und jedes Mal, wenn Sylvian zu singen beginnt, heben sich die Köpfe, schauen sie zu mir rüber, fragen sie, wer oder was das ist, und ich lasse die ganzen zehn Minuten laufen und sage ihnen, von wem das ist, und dass sie das nur hören können, wenn sie einen Plattenspieler haben, auf CD gibt es das nicht.

Nun können wir uns fragen, warum ausgerechnet diese Musik nur auf Vinyl zu haben ist. Musik ist rund, nicht nur die Rhythmen des Herrn Liebezeit, sondern auch die Schallwellen, da gibt es keine Ecken. Und auf CD gibt es keine Kurven, nur Abtastungen, Näherungen, 44100 kleine Säulen pro Sekunde. Nur auf Vinyl ist Musik rund, und vor allem diese.

Anfang nächsten Jahres soll ein ganzes Album folgen, dann sicher auch auf CD, und so beruhigend das auch ist, für die Leute, die fragen, von wem das ist, so verwundert gucken sie immer, wenn sie ausrechnen, dass das noch vier Monate sind, das ist kaum zu begreifen.

Aber schön ist das. Auch weil ich mich freue, wenn ich mir vorstelle, wie die Leute bei so viel Schönheit darüber nachdenken, vielleicht doch wieder einen Plattenspieler in ihr Wohnzimmer zu stellen. Das allein entbehrt schon nicht einer gewissen Romantik - in Verbindung mit dieser Platte ist das die reine Verführung.
BURNT FRIEDMAN & JAKI LIEBEZEIT ft. DAVID SYLVIAN - OUT IN THE STICKS EP - Label: Nonplace - NON17LP

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timanfaya - 9. Sep, 15:29

... die unauffälige umtriebigkeit von herrn sylvian finde ich immer wieder beachtlich. und mangels platz werde ich mich wohl ein paar monate in geduld üben müssen.

bremsruebe - 9. Sep, 15:35

stimmt, der gute ist wie seine stimme. auf einmal da mit einer präsenz, die den teil, in dem sie noch nicht zu hören war, nachträglich zu einer phase macht, in der sie fehlte. oder so.
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