19
Feb
2006

Burnt Friedman / Jaki Liebezeit: Hüter der geheimen Rhythmen

belgium2

Seit etwa fünf Jahren arbeiten Burnt Friedman und Jaki Liebezeit nun schon an ihrem „Secret Rhythms“ Projekt. Friedman erspielte sich mit Uwe „Senor Coconut“ Schmidt als Flanger viel Respekt, und Jaki Liebezeit ist schon allein durch seine Mitgliedschaft bei Can zur lebenden Legende geworden. Kein Grund, sich auf den Lorbeeren auszuruhen. „Secret Rhythms 2“, das neue Album der beiden, zeigt auf beeindruckende Weise, was dabei herauskommen kann, wenn man sich immer weiter entwickelt.

Eigentlich hätte ich mir das denken können. Wenn man sich zu Burnt Friedman und Jaki Liebezeit ins Studio setzt, hilft es sehr, wenn man ein halbwegs fundiertes Musikwissen mitbringt. Nicht dass ich gar keine Ahnung hätte, aber mir könnten sie glatt eine quintolisch geterzte Oktave andrehen, ich würde es nicht merken.

Aber so sind sie nicht, die beiden. Im Gegenteil, ungeheuer entspannt sitzen sie da, an einem mit allerhand musikalischem Kleinkram chaotisch-dekorativ überhäuften Tisch, in Jaki Liebezeits Übungsraum im Kölner Bürgerhaus Stollwerck, trinken Tee, essen Kuchen, und erzählen. Von Rhythmen natürlich, aber auch über Marsmenschen und Fußmaschinen, Globalisierung und Verdummung.

Schon seit vielen Jahren forschen beide in allem, was nicht Viervierteltakt ist. Jaki sowieso. Bereits Anfang der 60er ging er nach Barcelona, um dort zum Beispiel mit Chet Baker zu spielen, aber auch um arabische Musik und Flamenco zu studieren. In weniger als einem Jahrzehnt hatte er sich durch alle Rhythmen bis zum Free Jazz durchgetrommelt, bevor er seine legendären Jahre bei Can begann. Friedman über Liebezeit: „Jaki ist einer der wenigen Musiker, die wirklich interessiert sind an ihrer Arbeit. Die noch nicht angekommen sind, die sich immer weiterentwickeln, immer verfeinern. Ich weiß, wie sich das anfühlt, wie der das macht, und ich weiß auch, dass man da nur durch Übung weiterkommt. Er hat ein ernsthaftes Interesse daran. Ich habe in meinem Leben nicht viele kennen gelernt, die das so betreiben. Deswegen können wir gut zusammenarbeiten.“

Bei Burnt Friedman (dessen Künstlername schon ein Globalisierungswitz ist, denn eigentlich heißt er Bernd Friedmann) liegt die Wurzel in einem Hang zum Perfektionismus, gemischt mit einer Art sportlichem Ehrgeiz. Ein Zitat als Beleg: „Ich habe versucht, immer mehr Instrumente zu ersetzen. Ich war oft der einzige im Übungsraum, und die anderen waren mit ihren Freundinnen beschäftigt. Irgendwann hab ich die Schnauze voll gehabt und hab das ganze Orchester selbst programmiert. Das war wahrscheinlich nötig, das alles durchzuprogrammieren, was es so geben kann. Wie weit man gehen kann, mit Programmierung.“ Dass Bernd und Jaki zueinander fanden, ist für beide das Normalste auf der Welt, und eine tolle Geschichte lässt sich dazu auch nicht erzählen. Jaki dazu lapidar: „Irgendwie kriegt man das mit, von irgendwelchen Musikern, die sind irgendwie so auf einer gemeinsamen Sache, da treffen die sich dann auch. Köln ist ja auch nicht so groß.“

Sie freuen sich, dass ein Magazin mit dem Namen Groove sich für ihre Arbeit interessiert. Das passt, nicht nur weil ihre Platten von Groove Attack vertrieben werden, sondern auch, weil der Groove an sich eben mehr sei als der bei uns traditionell vorherrschende Viervierteltakt. „Groove ist etwas viel globaleres, da gehören auch die vielen anderen Rhythmen dazu.“ Eben die geheimen, die Fünfer, Siebener, Neuner und Elfer, die ungeraden. Jaki Liebezeit dazu: „In türkischen Kreisen ist der Neuner der populärste Rhythmus überhaupt. Wenn einer sagt: „Lass uns mal ein bisschen Tanzmusik spielen“, dann spielen die einen Neuner. Der steckt den Leuten in den Knochen, so wie hier den Leuten der Vierer. In Afghanistan ist der Siebener am beliebtesten. Neunzig Prozent aller Volkslieder sind da Siebener.“ Da fragt man sich natürlich, ob ein Afghane dann so ratlos vor einem Vierertakt steht wie ein Europäer vor dem Siebener.

Aber sie geben zu, dass es auch für sie manchmal schwer ist, die europäische Viererprogrammierung hinter sich zu lassen. Schmunzelnd erzählt Bernd Friedmann von eigenen Orientierungsproblemen: „Anfang der 80er hab ich mit einem türkischen Schlagzeuger gespielt, da stand ich völlig ratlos daneben. Da hab ich einen halben Zyklus lang mitgehalten und dann wieder den Überblick verloren. Das passiert uns manchmal heute noch. Wir nehmen bei einer Probe ein Stück auf, hören das dann auf der Heimfahrt im Auto, und erkennen es nicht wieder.“

Selbst Kollegen haben es da nicht leicht. David Sylvian zum Beispiel, der auf dem neuen Album einem Stück seine Stimme leiht, vermutete kurz, mit Jaki Liebezeits Timing beim Trommeln stimme etwas nicht. Klar, da lächeln sie nur, und auch wir, die wir das neue Album ja kaufen sollen, müssen nicht hinter die Rhythmik steigen, sie nachvollziehen können – das ist das Schöne am Geheimen, man muss sie nicht spielen können, um sie lieben zu lernen.

Das fällt beim neuen Album, das sie schlicht und einfach „Secret Rhythms 2“ nannten, auch noch viel leichter. Das noch beim ersten Album so präsente Vibraphon zum Beispiel haben sie in die Ecke gestellt (Bernd: „Das steht doch ziemlich außerhalb der Idee. Deshalb gibt es jetzt auf der zweiten kein so markantes Soloinstrument.“). Das macht zwar den Blick freier für die Rhythmen, aber sie bleiben trotz aller Reinheit, trotz der virtuosen Präzision im Spiel von Jaki Liebezeit, immer etwas rätselhaft. Das ist das Wunderbare am neuen Album, diese Leichtigkeit in der Präsentation, das Filigrane, die Subtilität und die Transparenz, und eben in der Summe die Faszination des Geheimnisvollen.

Fragt sich natürlich, wie so etwas live umzusetzen ist. Zumal die Fünfköpfige Besetzung, mit der das neue Album eingespielt wurde, so nicht auf Tournee gehen kann, da die Truppe wie die Presseschau aus vier Ländern und drei Kontinenten stammt. Friedman und Liebezeit werden nur mit dem Klarinettisten Hayden Chisholm unterwegs sein. Das ist schon kompliziert genug, schon allein weil man bei ungeraden Takten verschiedene Möglichkeiten hat, „einzuzählen“, da muss man sich erst einmal einigen. Um die Orientierung zu vereinfachen, werden laut Liebezeit verschiedene Spuren mit kleineren Elementen eingespielt. „Da ist die Rhythmik schon drin enthalten. Das hat den Takt, in dem wir spielen.“

Welche Takte das sind, lässt sich glücklicherweise auch sehr gut nachvollziehen, wenn man das Album besitzt – da wird genauestens dokumentiert, welches Stück in welchem Rhythmus gespielt wird. Da ist vom Fünfer bis zum Elfer alles dabei. Das ist lobenswert und trickreich zugleich: Man nähert sich so den faszinierenden Strukturen dieser Musik, doch das Geheime, das bleibt, auch nach dem Hören. Schöner Nebeneffekt: Beim konzentrierten Versuch, den Takt zu finden, entdeckt man die vielen schönen kleinen Spielereien, mit denen Bernd Friedmann die Rhythmen garniert.

Zum Abschluss hat er dann noch einen auch nicht gerade alltäglichen Vorschlag: „Hör dir das Album mal auf 33 an. Das ist interessant.“ Für einen Moment könnte man denken, das wäre so etwas wie die quintolisch geterzte Oktave. Aber so ist er ja nicht, der Bernd.

GROOVE - 02/06

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