Coldcut - Kontrolliertes Comeback
Das Jahr hat noch gar nicht richtig angefangen, da feiert die Musikwelt schon das erste große Comeback: COLDCUT sind wieder da. Einerseits ein veritables Comeback, denn eine ganze Generation von Musikhörern ist mittlerweile aufgewachsen, ohne einen echten Coldcut Hit erlebt zu haben. Andererseits auch wieder nicht, denn wenn man Jonathan More und Matt Black eins niemals vorwerfen kann, dann ist es Untätigkeit – schließlich betreiben sie mit Ninja Tune eins der einflussreichsten Labels der Welt. Wohl auch deswegen liegt das letzte echte Studio Album gut acht Jahre zurück. In diesen Tagen erscheint ihr neues Album „Sound Mirrors“. Mehr als genug Gründe also, mal einen ausführlichen Blick zurück zu werfen – auf die Geschichte eines Produzentenduos, das Musikgeschichte schrieb.
Für die meisten derer, die die 80er aus erster Hand erlebt haben, ist der Name Coldcut untrennbar mit einem der dicksten Hits des Jahrzehnts verbunden: „Paid In Full“ von Eric B & Rakim. Und damit eigentlich auch mit einer der dreistesten Klauereien der Musikgeschichte.
Sie sollten einen Remix machen – und lieferten eine Legende. „Seven Minutes of Madness“ nannten sie den Mix, und das zu Recht, denn während Eric B & Rakim bereits recht schamlos bei James Brown sampelten, klauten Coldcut ihre Sounds quasi weltweit zusammen und kümmerten sich nicht die Bohne um irgendwelche Musikrechte.
Dass sie zur geborgten Drum Loop die Bass Line von „Don’t Look Any Further“ von Siedah Garrett und Dennis Edwards legten, war ja noch recht naheliegend, aber dann fügten sie noch jede Menge obskurer Soundschnipsel ein, die sie zu Tausenden im Studio liegen hatten, und zur Krönung griffen sie sich den Gesang der bis dahin nur in Israel bekannten Ofra Haza, die jemenitische Lieder zum besten gab, und legten sie einfach auf die Hip Hop Beats – einer der berühmtesten Remixes aller Zeiten war geboren.
Dieses durchaus dreiste Vorgehen führte kurzfristig zu ziemlichem Ärger: Die Sängerin und vor allem deren Label Warner waren stinksauer und drohten mit Klage. Natürlich hätte Warner Recht bekommen, aber dann wurden sie dezent darauf hingewiesen, dass durch diesen Remix Frau Haza plötzlich zu Weltrum gekommen war, und Warner zumindest wirtschaftlich betrachtet keinen Grund zur Klage hatte.
Man einigte sich – tatsächlich verkaufte sich Hazas Album „Shaday“ prächtig und das im „Paid In Full“ verwendete „Im Nin’ Alu“ wurde zu einem dicken Hit, bei dem sich Coldcut mit einem „Played In Full Remix“ bedankten. Glück gehabt, auf der ganzen Linie. Coldcut waren auf einmal die gesuchtesten Remixer des Planeten, statt der Klage gab es Weltrum.
Sample-Pioniere
Dabei hatten More und Black schon vor dem Remix alle Hände voll zu tun. Jonathan More, der ursprünglich einmal Kunstlehrer war, verkaufte im Londoner Westend Schallplatten und hatte eine Sendung auf dem damals noch als Piratensender funkenden Kiss FM, als er Matt Black kennen lernte, der zu der Zeit an einem Titel arbeitete, der im Prinzip nur aus Samples bestand. Black stellte More den Titel vor, sie überarbeiteten ihn und boten ihn zur Veröffentlichung an. „Say Kids, What Time Is It“ hieß das Schnipselwerk, das im gleichen Jahr wie der Eric B Remix zum Hit wurde und eine ganze Flut von Produktionen auslöste – auf einmal kaufte jeder kleine Wohnzimmermusikant einen Sampler und übte sich im Produzieren von clubfähigen Cut-And-Paste Hits.
Nicht schlecht für zwei Jungs, die noch kurze Zeit vorher ganz gut strampeln mussten, um sich finanziell über Wasser zu halten. Ein Hit und ein Remix und die 80er waren endgültig beendet.
Ein Album war die logische Konsequenz. „What’s That Noise“ war in ganz Europa erfolgreich, nicht zuletzt auch wegen einiger illustrer Gäste – auch das war für die damalige Zeit ein eher ungewöhnliches Vorgehen. Junior Reid von Black Uhuru war mit von der Partie, Queen Latifah mischte mit, und zusammen mit der 90er-Ikone Lisa Stansfield gab es einen weiteren großen Hit: „People Hold On“.
Label-Gründer
Eigentlich ging es More und Black ganz gut – doch obwohl sie das große Pop-Geschäft prächtig verstanden und davon profitierten, hatten sie schon bald keine Lust mehr auf Major Labels und die daraus resultierenden Abhängigkeiten. Aber wie das so ist, wenn man einmal unterschrieben hat, ist das mit der Eigenständigkeit nicht so leicht. So kam dann noch mal ein Album bei Arista raus – „Philosophy“. Man merkt dem Album hier und da deutlich an, dass es in einer Übergangsphase entstand, einerseits noch dem hitlistenkompatiblen Sound des Vorgängeralbums, andererseits aber auch mit einem so zukunftsweisenden Track wie der Mixmaster Morris Bearbeitung des Klassikers „Autumn Leaves“.
Bis dahin war Coldcut ein für die Zeit geradezu klassisches Phänomen – Hitproduzenten, die mehr zu hören als zu sehen waren, ein Name, groß aber auch ein klein wenig gesichtslos, so wie Bomb The Bass oder MARRS. Sie wollten eh keine Stars sein, zumindest nicht im üblichen Sinne – ihre „Unsichtbarkeit“ gefiel ihnen sogar.
So kamen sie denn auch zum Namen ihres Labes – bei einer Japan Tournee lernten sie alles über Ninjas, unsichtbare Kämpfer, die aus dem Nichts heraus zuschlagen, niemand weiß, wer sie sind, das macht sie unabhängig und unberechenbar.
Mehr als passend für ein Label, das seit fast 15 Jahren als Musterbeispiel für musikalische Unabhängigkeit steht und es wie kein zweites schafft, hohen Anspruch mit wirtschaftlichem Erfolg zu vereinen. Dass ein kleines Label einen neuen Trend lostritt, ist nicht ungewöhnlich – bei Ninja Tune hingegen dürfte es so ungefähr ein halbes Dutzend sein. Die Namen ihrer Künstler sind Beweis genug – Kid Koala, Cinematic Orchestra, The Herbaliser, Mr. Scruff, Funki Porcini, Wagon Christ, Hexstatic – um mal nur die Wichtigsten zu nennen.
Mix-Legenden
Das funktioniert vor allem deswegen so gut, weil die Betreiber, eben Coldcut, sich selbst als Künstler dem Erfolg des Labels unterordnen. Statt sich selbst zu feiern und fröhlich jedes Jahr ein Album zu veröffentlichen, helfen sie lieber jungen Künstlern auf die eigenen Beine und entdecken dabei so großartige Künstler wie Bonobo, Hint, Skalpel oder DJ Food. Und als sei das nicht genug, sorgen sie mit ihrem Sublabel Big Dada noch für die ständige Erneuerung der britischen Hip Hop Szene.
Aber nicht nur deswegen blieb der Name Coldcut für die nächsten Jahre von den Veröffentlichungslisten – obendrein hatten sie auch noch Ärger mit ihren ehemaligen Major Label Kollegen, die es More und Black schlichtweg unmöglich machten, unter diesem Namen als Künstler aufzutreten. Erst 1995 hatten sie ihren Ninja Namen wieder und konnten sich auch mal wieder um ihren eigenen Sound kümmern.
Zur Feier der wiedergewonnenen Identität schufen sie einen der ganz großen DJ Mixes auf CD, und gehörten auch in dieser Hinsicht wieder einmal zu den ersten. Selbst zehn Jahre später ist diese CD, die unter dem Titel „Journeys By DJs – 70 Minutes Of Madness“ veröffentlicht wurde, ein Juwel unter den käuflich zu erwerbenden DJ Mixes, die ja in den letzten Jahren wie eine Plage über uns eingebrochen sind. Mühelos wirbeln sie die Musikstile durcheinander, schieben über Hip Hop Beats sphärische Drum’n’Bass Tracks, weben ambientöse Elemente ein und lassen die Beats auch mal grade sein – so etwas hatte man bisher nur auf der Insel gehört, und da eben auch nur in Coldcuts wöchentlicher Radiosendung „Solid Steel“.
Das war in jeder Hinsicht typisch Ninja Tune. Zum einen weil sie plötzlich da waren, aus dem Nichts zuschlugen, und zum anderen, weil sie mit diesem Freestyle Mix das Selbstverständnis ihres Labels definierten. Mit großem Erfolg – das britische Musikmagazin „Jockey Slut“ erklärte den Mix drei Jahre später zum besten DJ Mix aller Zeiten.
Polit-Musikanten
Der leichtfüßige und virtuose Umgang mit unterschiedlichsten Musikstilen hat bei More und Black einen geradezu kunstphilosophischen Hintergrund. Sie sind erklärte Verehrer von William S. Borroughs und dessen Cut-Up Technik, bei der er (zum Beispiel bei dessen Meisterwerk „Naked Lunch“) verschiedene Texte schlicht und ergreifend zerschnitt, vermischte und wahllos die Textteile wieder zusammenklebte. Ein mindestens ebenso wichtiger Einfluss waren die frühen Helden des Hip Hop, insbesondere Double D & Steinski, die schon früh anfingen, Soundschnipsel, die sie von überall zusammentrugen, auf Hip Hop Beats zu legen.
Anfangs noch eher unbemerkt, war die Arbeit von Coldcut immer durch ein starkes politisches Bewusstsein geprägt. Ihr Vorbild hierbei sind die Industrial Pioniere Throbbing Gristle, die absolut gegen jede Konvention, gegen Kommerzialität und gegen die üblichen Geschmacksvorstellungen antraten und ihr Plattenlabel nicht als ein Unternehmen betrachteten, sondern als einen Kommunikationskanal, über den sie ihre radikalen Botschaften der Welt zugänglich machen wollten.
All diese Einflüsse vereinten sie dann in ihrem großartigen nächsten Album „Let Us Play“, das ganze sechs Jahre nach Gründung ihres Labels erschien, eine Art Gesamtkunstwerk, das eine ungeheure konzeptionelle Kraft hat, dabei aber immer dem Titel entsprechend spielerisch wirkt, im besten Sinne kreativ. Es ist wie ein musikalisches Manifest zweier Künstler, die fest daran glauben, dass das spielerische Element uns zu einer intensiveren Interaktion und zu einem besseren Verständnis der Welt führt.
Jeder der Gäste auf diesem Album war ein Vorbild, ein Einfluss, eine Botschaft. Jello Biafra wurde eingeladen, der mit den Dead Kennedys ebenso viel Politik wie Musik betrieb. Der legendäre Funk Drummer Bernard Purdie spielte mit, und damit einer, der mit seinen unvergleichlichen Beats überhaupt erst die Grundlage für das Entstehen des Hip Hop schuf. Und natürlich musste Steinski dabei sein, ohne ihn wäre das Album nicht komplett gewesen.
Protest-Songs
Dazu gab es auch viel Botschaft – Titel wie „Timber“ und „Atomic Moog 2000“ waren deutliche Statements gegen die Macht der Konzerne, gegen Repression und für den Erhalt der Umwelt. Vor allem „Timber“ sorgte für großes Aufsehen, schon allein weil es sowohl ein Video als auch ein Audio Track war – was da die Henne und was das Ei war, niemand hätte es sagen können.
Allein über dieses Stück lassen sich Dutzende interessanter Geschichten erzählen. Schon der Schnitt: In diesem Protest-Track gegen die industrielle Abholzung der Regenwälder spielen Kettensägen die Hauptrolle, sowohl im Bild als auch im Ton, alles läuft absolut synchron – inklusive eines Kettensägen-Solos.
Möglich wurde dieses Video (und damit auch der Audio-Track) nur durch die Mithilfe von Greenpeace, die damals das Filmmaterial zur Verfügung stellten. Es gewann reihenweise Preise und wurde von einer ganzen Reihe von Videokünstlern geremixt – auch so eine Sache, die es bis dahin noch nicht gab. „Timber“ fand sogar Aufnahme im Guinness Buch der Rekorde, als die Single mit den meisten Video Remixes.
Und eine letzte Anekdote: Weil auf der CD-ROM von „Timber“ gleich sämtliche Video Remixes des Stücks versammelt waren, wurde der Titel nach den Statuten der britischen Phono-Industrie nicht als Single gewertet, sondern als Album, und durfte deshalb nicht in den britischen Top 100 geführt werden. Besser lässt sich die Hilflosigkeit der Industrie gegenüber der Innovationskraft im Hause Coldcut nicht dokumentieren.
Meinungs-Sache
Die Zeit rund um die Veröffentlichung von „Let Us Play“ war zweifellos auch die kontroverseste und kommunikativ ergiebigste in der bisherigen Karriere der Herren More und Black. Es war klar, dass das Album auch als Kontrapunkt und Kommentar zum populären Musikbetrieb gedacht war, und sie unterstrichen dies mit einer Fülle provokanter und intelligenter Äußerungen.
Sie hatten gerade ihren eigenen Club „Stealth“ geschlossen, weil ihnen das, was da passierte, nicht mehr gefiel, und man sagte ihnen nach, dass sie ausgemachte House Hasser seien. Interessant ihre Reaktion auf diesen Vorwurf: „Nein, wir hassen House nicht. Man muss einfach nur verstehen, was da passiert. Musik ist Software. Leute brauchen in ihrem Leben eine bestimmte Art von Software, ein Programm. Geh in den Club, wirf dir dein Ecstasy ein, und hops dann die ganze Nacht zu House Musik rum. Das ist ja auch kein Problem. Völlig in Ordnung. Es hat nur schlicht und ergreifend gar nichts mit Seele, Emotionen, Intelligenz, Tiefe, Dauerhaftigkeit oder inhaltlicher Relevanz zu tun. Es ist ein Cheeseburger. Du musst einfach wissen, dass du einen Cheeseburger konsumierst.“
Klare Worte, die natürlich auch einigen Leuten gar nicht gefallen haben. Aber macht ja nichts. Wenn irgend etwas den beiden richtig Feuer gegeben hat, dann war es die Kritik der alten Säcke, die mit Coldcuts Do-It-Yourself-Attitüde nicht zu Recht kamen. Irgend ein konservativer Musikjournalist sagte einst über ihre erste Single: „I’m sorry, but this just isn’t music.“ Was machten More und Black? Sie gaben ihrem Musikverlag den Namen Just Isn’t Music. Das sagt alles.
Das einzige Fitzelchen Wahrheit, das in diesem Kommentar steckte, war, dass Coldcut längst weit mehr machten als nur Musik. Noch ein bisschen Pionierarbeit gefällig? Matt Black war einer der ersten, die sich aktiv um die Entwicklung des VJings gekümmert hat – er entwickelte dafür sogar eine eigene Software, VJamm. Schon 1990 begannen sie, mit Videokünstlern zu arbeiten – Hex hießen die beiden Jungs, die sie von da an bei jedem Auftritt visuell unterstützten, später nannten sie sich dann um in Hexstatic. Resultat: zum einen das erste komplett am Computer entstandene Musikvideo, eine Reihe großartiger CD-ROMs, und schließlich auch das erste als DVD/CD-ROM veröffentlichte Album überhaupt, Hexstatics „Rewind“.
Viel-Beschäftigte
In geradezu logischer Konsequenz folgte 1999 „Let Us Replay“ – der Titel deutet es bereits an, das Remix Album zu „Let Us Play“. Auch hier durchaus mit einer Hommage an geliebte Kollegen und Vorbilder, zum einen ließen sie den treuen Wegbegleiter Mixmaster Morris neu abmischen und den gerade im Aufbau des Cinematic Orchestra befindlichen Jason Swinscoe remixen, zum anderen baten sie mit Grandmaster Flash, Ryuichi Sakamoto und Carl Craig drei echte Legenden um Überarbeitungen. Und weil es kein Album ohne Besonderheit geben konnte, legten sie der CD Version noch eine CD-ROM bei, die auch eine kostenlose Version von VJamm beinhaltete.
Danach war aber erst mal wieder Schluss – zumindest was eigene Veröffentlichungen anging. Das Label gab ihnen mehr als genug zu tun, und auch die wöchentliche „Solid Steel“ Session schafft reichlich Arbeit, selbst wenn More und Black in erster Linie illustre Gäste und Ninja Tune Künstler an die Turntables schicken. Die jahrelange Pionierarbeit der Sendung zahlte sich dann auch für das Label aus – seit 2001 wird so ungefähr alle sechs bis zwölf Monate ein neuer Mix herausgegeben, sicher auch weil die Sendungen zunehmend über Filesharing über den Globus geschickt werden, ohne dass die Künstler etwas davon haben.
Ein weiterer Grund dafür, dass Coldcut in den nächsten Jahren kein neues Album veröffentlichten, lag sicher auch in den vielen politischen und gesellschaftlichen Aktivitäten, mit denen Black und More sich beschäftigten. Wenn sie mal eine Single veröffentlichten, dann nur im Zusammenhang mit diesen Projekten. Zum Beispiel 2001, als in Großbritannien Wahljahr war und die beiden sich den mahnenden Stimmen anschlossen, die mit der britischen Politik nicht einverstanden waren, und „Re:volution“ aufnahmen, eine Single, die eher von ihrer Botschaft als von der musikalischen Qualität lebte.
Agitations-Künstler
Auch jenseits des Atlantiks wurden sie politisch aktiv – bei der Präsidentschaftswahl 2004 konnten kritische Bürger zu den Beats von Coldcut ihr eigenes Video schneiden, indem sie aus einer riesigen Datenbank historische Filmausschnitte zusammenstellten. Das Stück hieß „Word Of Evil“ und als Künstler wurde Coldcut vs. TV Sheriff angegeben.
Sie sind richtige kleine Revoluzzer geworden, die beiden. Ihre avantgardistischen Ambitionen im musikalischen Bereich wichen über die Jahre immer mehr diesen politischen Projekten – und zwar ohne dass sie damit große PR Effekte erreichen wollten. Viele ihrer Aktivitäten sind eher kleine Guerilla-Aktionen oder unterstützende Funktionen. Im Coldcut Video Studio Spacelab zum Beispiel ist lange Zeit PirateTV zu Hause gewesen, einer von vielen Ansätzen, das monotonisierende Monopol großer Radiostationen zu brechen und Alternativen zu liefern.
Nur – auf Dauer kann es für ein so renommiertes Duo nicht ausreichend sein, sich in im kommunikativen Guerillakrieg mit Agitationsmusik zu beschäftigen und nebenbei ihr Label zu betreiben.
Comeback-Album
Genau da kommt ihr neues Album ins Spiel. „Sound Mirrors“. Auf den ersten Blick riecht der Titel nicht wirklich nach politischer Botschaft. Aber wer schon mal mit ihnen zu tun hatte, weiß, dass das kein wahllos draufgesetzter Titel ist, sondern denkt sich eher, dass es anno 2006 zu Coldcut passen würde, wenn sie mit diesem Titel ausdrücken, dass sie einer Welt, die dem Konsum erliegt und die Repression kommentarlos hinnimmt, den Spiegel vors Gesicht halten wollen.
Eins fällt sofort auf: Die Gewichtsverteilung hat sich in den letzten acht Jahren deutlich verändert. Lag bei „Let Us Play“ die Betonung noch deutlich auf dem Spiel mit den verschiedensten musikalischen Elementen und Einflüssen, das den Boden für die Vermittlung der Botschaft lieferte, steht bei „Sound Mirrors“ die Message oft an erster Stelle und bestimmt zum Teil auch bestimmt, welchen Ton die Musik anschlägt.
Wie bei „Let Us Play“ sind reichlich Gäste mit an Bord, und auch hier sind es Wegbegleiter, Bruder im Geiste, Labelkollegen – nur die Legenden geben sich nicht mehr so die Klinke in die Hand wie dereinst. Mike Ladd ist sicher ein talentierter Rapper, aber natürlich ist er kein Grandmaster Flash. Jon Spencer – ein verdienter Mann, jedoch keine Kultfigur à la Jello Biafra.
Aber Vorsicht. Wir sind hier ja nicht bei Madonna. Ist es fair, die VIPs auf diese Weise zu vergleichen? Ist es überhaupt fair, dieses Album mit dem vorangegangenen zu vergleichen? In beiden Fällen: Ja. Denn Gäste holt man sich nicht, weil man sie nicht vermeiden kann, sondern weil sie für etwas stehen, weil sie dem Werk etwas hinzufügen, das der Künstler selbst nicht hinzufügen kann. Und Coldcut sind nicht die ersten, die einem Meilenstein ein weiteres Album folgen lassen mussten – und immer sind die beiden miteinander verglichen worden. Womit auch sonst?
Die Botschaften sind deutlicher, aber auch gröber geworden. Wo auf „Let Us Play“ der Protest gegen die Regenwaldrodung noch künstlerisch anspruchsvoll dargeboten wurde, klärt uns Mike Ladd in „Everything Is Under Control“ recht plakativ auf: „You know – Big Brother ain’t a TV show“. Im dazugehörigen Video wird ein jugendlicher Musikfreund von fiesen militärischen Horden gejagt. Das ist eher drastisch als virtuos.
Ansichts-Sache
Trotzdem wieder: Vorsicht. Eher drastisch als virtuos heißt nicht notwendigerweise auch eher schlecht als gut. In Zeiten, in denen Virtuosität im Gebell der Medien unbemerkt bleibt, bleibt einem ja gar nichts anderes übrig als deutlich zu sein, oder? In einer Zeit, in der sich junge Leute lieber angucken, wie andere in Containern dummes Zeug labern, als sich mal den Orwell aus dem Regal zu holen, muss man da nicht etwas Grundlagenarbeit betreiben?
Unsereiner, der sich mit einem gewissen Maß an politischer Bildung und einer ordentlichen Allgemeinbildung ausgestattet sieht, braucht das nicht wirklich. Menschen, die nicht wissen, woher der Big Brother wirklich kommt, die sind gemeint. Und die erreicht man nur übers Radio, über MTV, über einen Hit. Ob Coldcut das wollen? Ob sie das schaffen? Kann das wirklich ihr Ziel sein? Aufbau eines kritischen politischen Bewusstseins über die Hitparaden? Text und Bild lassen eigentlich keinen anderen Schluss zu.
„Only the birds fly first class“ heißt es in einem der poetischeren Momente des Albums, in „Mr. Nichols“, einer stimmungsvoll dramatisch untermalten Spoken Word Einlage von Saul Williams, in der er dem zum Sprung aus dem Fenster bereiten Herrn Nichols, der dem konstanten Druck der westlichen Gesellschaft nicht mehr gewachsen ist, sagt, er möge statt zu springen einfach nur umdrehen, sich dem Osten zuwenden, der Freiheit. Starker Tobak ist das, vor allem wenn man das dazugehörige Video sieht, in dem sich Mr. Nichols erhängt.
Vergleichs-Weise
Gleichzeitig ist der Coldcut Sound ein ganzes Stück zugänglicher geworden, hier und da geradezu poppig, im Vergleich. Wenn das Label – und damit ja auch die Künstler – bei „Man In A Garage“ sagt, dass der Beat auch locker in ein Stück von Aaliyah gepasst hätte, dann spricht das Bände.
So ein wenig drängt sich der Vergleich zum letzten Chemical Brothers Album auf – auch sie kamen mit frischem, erstaunlich zugänglichem Sound aus dem Studio zurück, in dem sie einst für derbe Furore gesorgt hatten. Aber eben auch mit einer etwas weniger botschaftsgetriebenen Haltung, und mit einem Brett von Single, während Coldcuts „Everything Is Under Control“ in seiner retrobrachialen Attitüde einfach etwas gestrig wirkt und für einen Charterfolg erst mal ein 90er-Revival benötigt hätte.
Politisch sind sie definitiv auf der Höhe der Zeit – musikalisch hinken sie ein wenig hinterher. Aber vielleicht sind sie uns auch nur wieder ein wenig voraus, wer will das schon mit Bestimmtheit sagen? Vielleicht laufen wir in ein zwei Jahren alle wieder zu Tausenden auf Demos und entwickeln ein kollektives politisches Bewusstsein, konsumieren bewusst und verantwortlich. Vielleicht gibt es bald in Clubs statt alberner Red Bull Promotions (wer braucht eigentlich eine so lausige Brause?) Spendenkollekten gegen den Hunger in der Welt oder für die Erhaltung der Regenwälder.
Das wäre die Welt, die Coldcut gefiele – und zugegebenermaßen, sie wäre besser, als die, die wir jetzt haben. Und wenn das das Ziel ist, wünschen wir dem Album und Coldcut jeden Erfolg der Welt.
LEVEL 47 - 12/05
Für die meisten derer, die die 80er aus erster Hand erlebt haben, ist der Name Coldcut untrennbar mit einem der dicksten Hits des Jahrzehnts verbunden: „Paid In Full“ von Eric B & Rakim. Und damit eigentlich auch mit einer der dreistesten Klauereien der Musikgeschichte.
Sie sollten einen Remix machen – und lieferten eine Legende. „Seven Minutes of Madness“ nannten sie den Mix, und das zu Recht, denn während Eric B & Rakim bereits recht schamlos bei James Brown sampelten, klauten Coldcut ihre Sounds quasi weltweit zusammen und kümmerten sich nicht die Bohne um irgendwelche Musikrechte.
Dass sie zur geborgten Drum Loop die Bass Line von „Don’t Look Any Further“ von Siedah Garrett und Dennis Edwards legten, war ja noch recht naheliegend, aber dann fügten sie noch jede Menge obskurer Soundschnipsel ein, die sie zu Tausenden im Studio liegen hatten, und zur Krönung griffen sie sich den Gesang der bis dahin nur in Israel bekannten Ofra Haza, die jemenitische Lieder zum besten gab, und legten sie einfach auf die Hip Hop Beats – einer der berühmtesten Remixes aller Zeiten war geboren.
Dieses durchaus dreiste Vorgehen führte kurzfristig zu ziemlichem Ärger: Die Sängerin und vor allem deren Label Warner waren stinksauer und drohten mit Klage. Natürlich hätte Warner Recht bekommen, aber dann wurden sie dezent darauf hingewiesen, dass durch diesen Remix Frau Haza plötzlich zu Weltrum gekommen war, und Warner zumindest wirtschaftlich betrachtet keinen Grund zur Klage hatte.
Man einigte sich – tatsächlich verkaufte sich Hazas Album „Shaday“ prächtig und das im „Paid In Full“ verwendete „Im Nin’ Alu“ wurde zu einem dicken Hit, bei dem sich Coldcut mit einem „Played In Full Remix“ bedankten. Glück gehabt, auf der ganzen Linie. Coldcut waren auf einmal die gesuchtesten Remixer des Planeten, statt der Klage gab es Weltrum.
Sample-Pioniere
Dabei hatten More und Black schon vor dem Remix alle Hände voll zu tun. Jonathan More, der ursprünglich einmal Kunstlehrer war, verkaufte im Londoner Westend Schallplatten und hatte eine Sendung auf dem damals noch als Piratensender funkenden Kiss FM, als er Matt Black kennen lernte, der zu der Zeit an einem Titel arbeitete, der im Prinzip nur aus Samples bestand. Black stellte More den Titel vor, sie überarbeiteten ihn und boten ihn zur Veröffentlichung an. „Say Kids, What Time Is It“ hieß das Schnipselwerk, das im gleichen Jahr wie der Eric B Remix zum Hit wurde und eine ganze Flut von Produktionen auslöste – auf einmal kaufte jeder kleine Wohnzimmermusikant einen Sampler und übte sich im Produzieren von clubfähigen Cut-And-Paste Hits.
Nicht schlecht für zwei Jungs, die noch kurze Zeit vorher ganz gut strampeln mussten, um sich finanziell über Wasser zu halten. Ein Hit und ein Remix und die 80er waren endgültig beendet.
Ein Album war die logische Konsequenz. „What’s That Noise“ war in ganz Europa erfolgreich, nicht zuletzt auch wegen einiger illustrer Gäste – auch das war für die damalige Zeit ein eher ungewöhnliches Vorgehen. Junior Reid von Black Uhuru war mit von der Partie, Queen Latifah mischte mit, und zusammen mit der 90er-Ikone Lisa Stansfield gab es einen weiteren großen Hit: „People Hold On“.
Label-Gründer
Eigentlich ging es More und Black ganz gut – doch obwohl sie das große Pop-Geschäft prächtig verstanden und davon profitierten, hatten sie schon bald keine Lust mehr auf Major Labels und die daraus resultierenden Abhängigkeiten. Aber wie das so ist, wenn man einmal unterschrieben hat, ist das mit der Eigenständigkeit nicht so leicht. So kam dann noch mal ein Album bei Arista raus – „Philosophy“. Man merkt dem Album hier und da deutlich an, dass es in einer Übergangsphase entstand, einerseits noch dem hitlistenkompatiblen Sound des Vorgängeralbums, andererseits aber auch mit einem so zukunftsweisenden Track wie der Mixmaster Morris Bearbeitung des Klassikers „Autumn Leaves“.
Bis dahin war Coldcut ein für die Zeit geradezu klassisches Phänomen – Hitproduzenten, die mehr zu hören als zu sehen waren, ein Name, groß aber auch ein klein wenig gesichtslos, so wie Bomb The Bass oder MARRS. Sie wollten eh keine Stars sein, zumindest nicht im üblichen Sinne – ihre „Unsichtbarkeit“ gefiel ihnen sogar.
So kamen sie denn auch zum Namen ihres Labes – bei einer Japan Tournee lernten sie alles über Ninjas, unsichtbare Kämpfer, die aus dem Nichts heraus zuschlagen, niemand weiß, wer sie sind, das macht sie unabhängig und unberechenbar.
Mehr als passend für ein Label, das seit fast 15 Jahren als Musterbeispiel für musikalische Unabhängigkeit steht und es wie kein zweites schafft, hohen Anspruch mit wirtschaftlichem Erfolg zu vereinen. Dass ein kleines Label einen neuen Trend lostritt, ist nicht ungewöhnlich – bei Ninja Tune hingegen dürfte es so ungefähr ein halbes Dutzend sein. Die Namen ihrer Künstler sind Beweis genug – Kid Koala, Cinematic Orchestra, The Herbaliser, Mr. Scruff, Funki Porcini, Wagon Christ, Hexstatic – um mal nur die Wichtigsten zu nennen.
Mix-Legenden
Das funktioniert vor allem deswegen so gut, weil die Betreiber, eben Coldcut, sich selbst als Künstler dem Erfolg des Labels unterordnen. Statt sich selbst zu feiern und fröhlich jedes Jahr ein Album zu veröffentlichen, helfen sie lieber jungen Künstlern auf die eigenen Beine und entdecken dabei so großartige Künstler wie Bonobo, Hint, Skalpel oder DJ Food. Und als sei das nicht genug, sorgen sie mit ihrem Sublabel Big Dada noch für die ständige Erneuerung der britischen Hip Hop Szene.
Aber nicht nur deswegen blieb der Name Coldcut für die nächsten Jahre von den Veröffentlichungslisten – obendrein hatten sie auch noch Ärger mit ihren ehemaligen Major Label Kollegen, die es More und Black schlichtweg unmöglich machten, unter diesem Namen als Künstler aufzutreten. Erst 1995 hatten sie ihren Ninja Namen wieder und konnten sich auch mal wieder um ihren eigenen Sound kümmern.
Zur Feier der wiedergewonnenen Identität schufen sie einen der ganz großen DJ Mixes auf CD, und gehörten auch in dieser Hinsicht wieder einmal zu den ersten. Selbst zehn Jahre später ist diese CD, die unter dem Titel „Journeys By DJs – 70 Minutes Of Madness“ veröffentlicht wurde, ein Juwel unter den käuflich zu erwerbenden DJ Mixes, die ja in den letzten Jahren wie eine Plage über uns eingebrochen sind. Mühelos wirbeln sie die Musikstile durcheinander, schieben über Hip Hop Beats sphärische Drum’n’Bass Tracks, weben ambientöse Elemente ein und lassen die Beats auch mal grade sein – so etwas hatte man bisher nur auf der Insel gehört, und da eben auch nur in Coldcuts wöchentlicher Radiosendung „Solid Steel“.
Das war in jeder Hinsicht typisch Ninja Tune. Zum einen weil sie plötzlich da waren, aus dem Nichts zuschlugen, und zum anderen, weil sie mit diesem Freestyle Mix das Selbstverständnis ihres Labels definierten. Mit großem Erfolg – das britische Musikmagazin „Jockey Slut“ erklärte den Mix drei Jahre später zum besten DJ Mix aller Zeiten.
Polit-Musikanten
Der leichtfüßige und virtuose Umgang mit unterschiedlichsten Musikstilen hat bei More und Black einen geradezu kunstphilosophischen Hintergrund. Sie sind erklärte Verehrer von William S. Borroughs und dessen Cut-Up Technik, bei der er (zum Beispiel bei dessen Meisterwerk „Naked Lunch“) verschiedene Texte schlicht und ergreifend zerschnitt, vermischte und wahllos die Textteile wieder zusammenklebte. Ein mindestens ebenso wichtiger Einfluss waren die frühen Helden des Hip Hop, insbesondere Double D & Steinski, die schon früh anfingen, Soundschnipsel, die sie von überall zusammentrugen, auf Hip Hop Beats zu legen.
Anfangs noch eher unbemerkt, war die Arbeit von Coldcut immer durch ein starkes politisches Bewusstsein geprägt. Ihr Vorbild hierbei sind die Industrial Pioniere Throbbing Gristle, die absolut gegen jede Konvention, gegen Kommerzialität und gegen die üblichen Geschmacksvorstellungen antraten und ihr Plattenlabel nicht als ein Unternehmen betrachteten, sondern als einen Kommunikationskanal, über den sie ihre radikalen Botschaften der Welt zugänglich machen wollten.
All diese Einflüsse vereinten sie dann in ihrem großartigen nächsten Album „Let Us Play“, das ganze sechs Jahre nach Gründung ihres Labels erschien, eine Art Gesamtkunstwerk, das eine ungeheure konzeptionelle Kraft hat, dabei aber immer dem Titel entsprechend spielerisch wirkt, im besten Sinne kreativ. Es ist wie ein musikalisches Manifest zweier Künstler, die fest daran glauben, dass das spielerische Element uns zu einer intensiveren Interaktion und zu einem besseren Verständnis der Welt führt.
Jeder der Gäste auf diesem Album war ein Vorbild, ein Einfluss, eine Botschaft. Jello Biafra wurde eingeladen, der mit den Dead Kennedys ebenso viel Politik wie Musik betrieb. Der legendäre Funk Drummer Bernard Purdie spielte mit, und damit einer, der mit seinen unvergleichlichen Beats überhaupt erst die Grundlage für das Entstehen des Hip Hop schuf. Und natürlich musste Steinski dabei sein, ohne ihn wäre das Album nicht komplett gewesen.
Protest-Songs
Dazu gab es auch viel Botschaft – Titel wie „Timber“ und „Atomic Moog 2000“ waren deutliche Statements gegen die Macht der Konzerne, gegen Repression und für den Erhalt der Umwelt. Vor allem „Timber“ sorgte für großes Aufsehen, schon allein weil es sowohl ein Video als auch ein Audio Track war – was da die Henne und was das Ei war, niemand hätte es sagen können.
Allein über dieses Stück lassen sich Dutzende interessanter Geschichten erzählen. Schon der Schnitt: In diesem Protest-Track gegen die industrielle Abholzung der Regenwälder spielen Kettensägen die Hauptrolle, sowohl im Bild als auch im Ton, alles läuft absolut synchron – inklusive eines Kettensägen-Solos.
Möglich wurde dieses Video (und damit auch der Audio-Track) nur durch die Mithilfe von Greenpeace, die damals das Filmmaterial zur Verfügung stellten. Es gewann reihenweise Preise und wurde von einer ganzen Reihe von Videokünstlern geremixt – auch so eine Sache, die es bis dahin noch nicht gab. „Timber“ fand sogar Aufnahme im Guinness Buch der Rekorde, als die Single mit den meisten Video Remixes.
Und eine letzte Anekdote: Weil auf der CD-ROM von „Timber“ gleich sämtliche Video Remixes des Stücks versammelt waren, wurde der Titel nach den Statuten der britischen Phono-Industrie nicht als Single gewertet, sondern als Album, und durfte deshalb nicht in den britischen Top 100 geführt werden. Besser lässt sich die Hilflosigkeit der Industrie gegenüber der Innovationskraft im Hause Coldcut nicht dokumentieren.
Meinungs-Sache
Die Zeit rund um die Veröffentlichung von „Let Us Play“ war zweifellos auch die kontroverseste und kommunikativ ergiebigste in der bisherigen Karriere der Herren More und Black. Es war klar, dass das Album auch als Kontrapunkt und Kommentar zum populären Musikbetrieb gedacht war, und sie unterstrichen dies mit einer Fülle provokanter und intelligenter Äußerungen.
Sie hatten gerade ihren eigenen Club „Stealth“ geschlossen, weil ihnen das, was da passierte, nicht mehr gefiel, und man sagte ihnen nach, dass sie ausgemachte House Hasser seien. Interessant ihre Reaktion auf diesen Vorwurf: „Nein, wir hassen House nicht. Man muss einfach nur verstehen, was da passiert. Musik ist Software. Leute brauchen in ihrem Leben eine bestimmte Art von Software, ein Programm. Geh in den Club, wirf dir dein Ecstasy ein, und hops dann die ganze Nacht zu House Musik rum. Das ist ja auch kein Problem. Völlig in Ordnung. Es hat nur schlicht und ergreifend gar nichts mit Seele, Emotionen, Intelligenz, Tiefe, Dauerhaftigkeit oder inhaltlicher Relevanz zu tun. Es ist ein Cheeseburger. Du musst einfach wissen, dass du einen Cheeseburger konsumierst.“
Klare Worte, die natürlich auch einigen Leuten gar nicht gefallen haben. Aber macht ja nichts. Wenn irgend etwas den beiden richtig Feuer gegeben hat, dann war es die Kritik der alten Säcke, die mit Coldcuts Do-It-Yourself-Attitüde nicht zu Recht kamen. Irgend ein konservativer Musikjournalist sagte einst über ihre erste Single: „I’m sorry, but this just isn’t music.“ Was machten More und Black? Sie gaben ihrem Musikverlag den Namen Just Isn’t Music. Das sagt alles.
Das einzige Fitzelchen Wahrheit, das in diesem Kommentar steckte, war, dass Coldcut längst weit mehr machten als nur Musik. Noch ein bisschen Pionierarbeit gefällig? Matt Black war einer der ersten, die sich aktiv um die Entwicklung des VJings gekümmert hat – er entwickelte dafür sogar eine eigene Software, VJamm. Schon 1990 begannen sie, mit Videokünstlern zu arbeiten – Hex hießen die beiden Jungs, die sie von da an bei jedem Auftritt visuell unterstützten, später nannten sie sich dann um in Hexstatic. Resultat: zum einen das erste komplett am Computer entstandene Musikvideo, eine Reihe großartiger CD-ROMs, und schließlich auch das erste als DVD/CD-ROM veröffentlichte Album überhaupt, Hexstatics „Rewind“.
Viel-Beschäftigte
In geradezu logischer Konsequenz folgte 1999 „Let Us Replay“ – der Titel deutet es bereits an, das Remix Album zu „Let Us Play“. Auch hier durchaus mit einer Hommage an geliebte Kollegen und Vorbilder, zum einen ließen sie den treuen Wegbegleiter Mixmaster Morris neu abmischen und den gerade im Aufbau des Cinematic Orchestra befindlichen Jason Swinscoe remixen, zum anderen baten sie mit Grandmaster Flash, Ryuichi Sakamoto und Carl Craig drei echte Legenden um Überarbeitungen. Und weil es kein Album ohne Besonderheit geben konnte, legten sie der CD Version noch eine CD-ROM bei, die auch eine kostenlose Version von VJamm beinhaltete.
Danach war aber erst mal wieder Schluss – zumindest was eigene Veröffentlichungen anging. Das Label gab ihnen mehr als genug zu tun, und auch die wöchentliche „Solid Steel“ Session schafft reichlich Arbeit, selbst wenn More und Black in erster Linie illustre Gäste und Ninja Tune Künstler an die Turntables schicken. Die jahrelange Pionierarbeit der Sendung zahlte sich dann auch für das Label aus – seit 2001 wird so ungefähr alle sechs bis zwölf Monate ein neuer Mix herausgegeben, sicher auch weil die Sendungen zunehmend über Filesharing über den Globus geschickt werden, ohne dass die Künstler etwas davon haben.
Ein weiterer Grund dafür, dass Coldcut in den nächsten Jahren kein neues Album veröffentlichten, lag sicher auch in den vielen politischen und gesellschaftlichen Aktivitäten, mit denen Black und More sich beschäftigten. Wenn sie mal eine Single veröffentlichten, dann nur im Zusammenhang mit diesen Projekten. Zum Beispiel 2001, als in Großbritannien Wahljahr war und die beiden sich den mahnenden Stimmen anschlossen, die mit der britischen Politik nicht einverstanden waren, und „Re:volution“ aufnahmen, eine Single, die eher von ihrer Botschaft als von der musikalischen Qualität lebte.
Agitations-Künstler
Auch jenseits des Atlantiks wurden sie politisch aktiv – bei der Präsidentschaftswahl 2004 konnten kritische Bürger zu den Beats von Coldcut ihr eigenes Video schneiden, indem sie aus einer riesigen Datenbank historische Filmausschnitte zusammenstellten. Das Stück hieß „Word Of Evil“ und als Künstler wurde Coldcut vs. TV Sheriff angegeben.
Sie sind richtige kleine Revoluzzer geworden, die beiden. Ihre avantgardistischen Ambitionen im musikalischen Bereich wichen über die Jahre immer mehr diesen politischen Projekten – und zwar ohne dass sie damit große PR Effekte erreichen wollten. Viele ihrer Aktivitäten sind eher kleine Guerilla-Aktionen oder unterstützende Funktionen. Im Coldcut Video Studio Spacelab zum Beispiel ist lange Zeit PirateTV zu Hause gewesen, einer von vielen Ansätzen, das monotonisierende Monopol großer Radiostationen zu brechen und Alternativen zu liefern.
Nur – auf Dauer kann es für ein so renommiertes Duo nicht ausreichend sein, sich in im kommunikativen Guerillakrieg mit Agitationsmusik zu beschäftigen und nebenbei ihr Label zu betreiben.
Comeback-Album
Genau da kommt ihr neues Album ins Spiel. „Sound Mirrors“. Auf den ersten Blick riecht der Titel nicht wirklich nach politischer Botschaft. Aber wer schon mal mit ihnen zu tun hatte, weiß, dass das kein wahllos draufgesetzter Titel ist, sondern denkt sich eher, dass es anno 2006 zu Coldcut passen würde, wenn sie mit diesem Titel ausdrücken, dass sie einer Welt, die dem Konsum erliegt und die Repression kommentarlos hinnimmt, den Spiegel vors Gesicht halten wollen.
Eins fällt sofort auf: Die Gewichtsverteilung hat sich in den letzten acht Jahren deutlich verändert. Lag bei „Let Us Play“ die Betonung noch deutlich auf dem Spiel mit den verschiedensten musikalischen Elementen und Einflüssen, das den Boden für die Vermittlung der Botschaft lieferte, steht bei „Sound Mirrors“ die Message oft an erster Stelle und bestimmt zum Teil auch bestimmt, welchen Ton die Musik anschlägt.
Wie bei „Let Us Play“ sind reichlich Gäste mit an Bord, und auch hier sind es Wegbegleiter, Bruder im Geiste, Labelkollegen – nur die Legenden geben sich nicht mehr so die Klinke in die Hand wie dereinst. Mike Ladd ist sicher ein talentierter Rapper, aber natürlich ist er kein Grandmaster Flash. Jon Spencer – ein verdienter Mann, jedoch keine Kultfigur à la Jello Biafra.
Aber Vorsicht. Wir sind hier ja nicht bei Madonna. Ist es fair, die VIPs auf diese Weise zu vergleichen? Ist es überhaupt fair, dieses Album mit dem vorangegangenen zu vergleichen? In beiden Fällen: Ja. Denn Gäste holt man sich nicht, weil man sie nicht vermeiden kann, sondern weil sie für etwas stehen, weil sie dem Werk etwas hinzufügen, das der Künstler selbst nicht hinzufügen kann. Und Coldcut sind nicht die ersten, die einem Meilenstein ein weiteres Album folgen lassen mussten – und immer sind die beiden miteinander verglichen worden. Womit auch sonst?
Die Botschaften sind deutlicher, aber auch gröber geworden. Wo auf „Let Us Play“ der Protest gegen die Regenwaldrodung noch künstlerisch anspruchsvoll dargeboten wurde, klärt uns Mike Ladd in „Everything Is Under Control“ recht plakativ auf: „You know – Big Brother ain’t a TV show“. Im dazugehörigen Video wird ein jugendlicher Musikfreund von fiesen militärischen Horden gejagt. Das ist eher drastisch als virtuos.
Ansichts-Sache
Trotzdem wieder: Vorsicht. Eher drastisch als virtuos heißt nicht notwendigerweise auch eher schlecht als gut. In Zeiten, in denen Virtuosität im Gebell der Medien unbemerkt bleibt, bleibt einem ja gar nichts anderes übrig als deutlich zu sein, oder? In einer Zeit, in der sich junge Leute lieber angucken, wie andere in Containern dummes Zeug labern, als sich mal den Orwell aus dem Regal zu holen, muss man da nicht etwas Grundlagenarbeit betreiben?
Unsereiner, der sich mit einem gewissen Maß an politischer Bildung und einer ordentlichen Allgemeinbildung ausgestattet sieht, braucht das nicht wirklich. Menschen, die nicht wissen, woher der Big Brother wirklich kommt, die sind gemeint. Und die erreicht man nur übers Radio, über MTV, über einen Hit. Ob Coldcut das wollen? Ob sie das schaffen? Kann das wirklich ihr Ziel sein? Aufbau eines kritischen politischen Bewusstseins über die Hitparaden? Text und Bild lassen eigentlich keinen anderen Schluss zu.
„Only the birds fly first class“ heißt es in einem der poetischeren Momente des Albums, in „Mr. Nichols“, einer stimmungsvoll dramatisch untermalten Spoken Word Einlage von Saul Williams, in der er dem zum Sprung aus dem Fenster bereiten Herrn Nichols, der dem konstanten Druck der westlichen Gesellschaft nicht mehr gewachsen ist, sagt, er möge statt zu springen einfach nur umdrehen, sich dem Osten zuwenden, der Freiheit. Starker Tobak ist das, vor allem wenn man das dazugehörige Video sieht, in dem sich Mr. Nichols erhängt.
Vergleichs-Weise
Gleichzeitig ist der Coldcut Sound ein ganzes Stück zugänglicher geworden, hier und da geradezu poppig, im Vergleich. Wenn das Label – und damit ja auch die Künstler – bei „Man In A Garage“ sagt, dass der Beat auch locker in ein Stück von Aaliyah gepasst hätte, dann spricht das Bände.
So ein wenig drängt sich der Vergleich zum letzten Chemical Brothers Album auf – auch sie kamen mit frischem, erstaunlich zugänglichem Sound aus dem Studio zurück, in dem sie einst für derbe Furore gesorgt hatten. Aber eben auch mit einer etwas weniger botschaftsgetriebenen Haltung, und mit einem Brett von Single, während Coldcuts „Everything Is Under Control“ in seiner retrobrachialen Attitüde einfach etwas gestrig wirkt und für einen Charterfolg erst mal ein 90er-Revival benötigt hätte.
Politisch sind sie definitiv auf der Höhe der Zeit – musikalisch hinken sie ein wenig hinterher. Aber vielleicht sind sie uns auch nur wieder ein wenig voraus, wer will das schon mit Bestimmtheit sagen? Vielleicht laufen wir in ein zwei Jahren alle wieder zu Tausenden auf Demos und entwickeln ein kollektives politisches Bewusstsein, konsumieren bewusst und verantwortlich. Vielleicht gibt es bald in Clubs statt alberner Red Bull Promotions (wer braucht eigentlich eine so lausige Brause?) Spendenkollekten gegen den Hunger in der Welt oder für die Erhaltung der Regenwälder.
Das wäre die Welt, die Coldcut gefiele – und zugegebenermaßen, sie wäre besser, als die, die wir jetzt haben. Und wenn das das Ziel ist, wünschen wir dem Album und Coldcut jeden Erfolg der Welt.
LEVEL 47 - 12/05
bremsruebe - 19. Feb, 17:34
2 comments - add comment - 0 trackbacks
allesfliesst - 11. Jul, 17:35
eher drastisch als virtuos...
virtuosität kann auf ihre weise ja durchaus auch drastisch sein (die klassischen virtuosen jedenfalls waren selten 'subtil' oder so).
was mich aber eigentlich interessiert wäre: virtuosität als kriterium nicht nur künstlerischer, sondern auch politischer performance. wenn es virtuose politische musik gibt - gibt es vielleicht auch virtuose politik? (offenkundig nicht im bundestag, aber...vielleicht woanders...)
was mich aber eigentlich interessiert wäre: virtuosität als kriterium nicht nur künstlerischer, sondern auch politischer performance. wenn es virtuose politische musik gibt - gibt es vielleicht auch virtuose politik? (offenkundig nicht im bundestag, aber...vielleicht woanders...)
bremsruebe - 19. Jul, 19:39
das ist doch mal eine interessante überlegung. virtuose politik. da müsste man mal kurz drüber nachdenken, worauf sich die virtuosität bezieht - komposition oder darbietung. in der politik gibt es sicher hier und da in der darbietung virtuosität. auch wenn wirklich faszinierende redner (und da entscheidet sich ja die frage, ob jemand virtuos ist oder nicht, wenn es um darbietungen geht) wirklich selten sind. dass einer wie der schröder zum medienkanzler mutiert, spricht ja schon bände. da mag man vielleicht sagen, dass die "großen reden" eh ein ding der vergangenheit seien - aber auch nur bis einer daher kommt und eine solche hält. in der komposition hingegen? hm. das ist inhaltlich und ideologisch - da ist es in der musik wahrscheinlich leichter, ein ziel zu definieren, das es sich anzupeilen lohnt, um es dann mit einer virtuosen komposition zu erreichen. wer verfolgt schon auf virtuose weise ziele, die es zu erreichen lohnt? al gore? :-D
Trackback URL:
https://bremsruebe.twoday.net/stories/1590759/modTrackback